Das Kindesschutzsystem in der Coronakrise

01.04.2020 Paul Maetschke,
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Wie steht es um den Kindesschutz in Zeiten von Corona? Ein Überblick zu Herausforderungen, Problemen und gelingende Lösungsansätzen.

Die Interessensgemeinschaft für Qualität im Kindesschutz (IGQK) hat auf der Plattform Linked.in die Gruppe «Kinder- und Jugendhilfe/Kindesschutz CH & die Coronakrise: Herausforderungen - Probleme - Lösungen» ins Leben gerufen. Mehr als 150 Fachpersonen aus unterschiedlichen Bereichen des Kindesschutzes tauschen sich in dieser Gruppe über ihre aktuellen Erfahrungen aus. Hier ein Auszug der Ergebnisse (Fokus auf Kinder- und Jugendinstitutionen) aus dem ersten Onlinemeeting vom 23. März 2020.

Wie geht es dem Personal vor Ort?

Die Verunsicherung von Kindern und Personal ist gross. Die Angst vor Ansteckungen ist präsent. Mit der Schliessung von Schulen und nicht mehr vorhandenen externen Freizeitangeboten wie Vereinen hat der Betreuungsbedarf auf den Gruppen zugenommen. Zudem wird mit Personalausfällen gerechnet. Einerseits, weil Mitarbeitende selbst zur Risikogruppe gehören oder nahe Angehörige in den Risikogruppen haben und andererseits, weil sie für die eigenen Kinder keine Betreuungslösungen finden oder weil sie selbst erkrankt sind. Darauf ist der Stellenschlüssel definitiv nicht ausgelegt.

Freiwilligeneinsätze als Lösung?

Um dem vermuteten Personalmangel zu begegnen, wird mit verschiedene Ansätzen experimentiert. So lockert z.B. der Kanton Zürich die Qualitätsanforderungen ans Personal (geringere Fachquote erforderlich). Andere erhöhen die Stellenprozent von Teilzeitangestellten. Sozialinfo.ch bietet Hand, indem eine kostenlose Stellenbörse für COVID 19-Aushilfsstellen aufgeschaltet ist.

Generell muss damit gerechnet werden, dass in näherer Zukunft nicht alle Stellen so besetzt sind, wie es notwendig wäre. Neben Profis wird vermutlich auch weniger qualifiziertes oder sogar unerfahrenes und mit den Organisationsabläufen nicht vertrautes Personal eingesetzt. Mindestens stellenweise sind hier Überforderungen vorprogrammiert. Damit steigt auch das Risiko für Fehleinschätzungen und Kindeswohlgefährdungen. Unklar ist auch, wer die erhöhten Personalkosten im Feld der stationären Massnahmen überhaupt trägt. Doch momentan kann darauf keine Rücksicht genommen werden. Es ist nur eines wichtig: Handlungsfähig bleiben und die Ausbreitung verlangsamen.

Vorbereitet auf den Ernstfall

Was passiert jedoch, wenn tatsächlich eine Wohngruppe vom Virus betroffen ist? Gut gewappnet ist, wer sich schon jetzt damit auseinandersetzt und ein Pandemiekonzept erstellt. Bei Verdachtsfällen oder Bestätigungen ist der Kantonsarzt der richtige Ansprechpartner. CURAVIVA Schweiz hat zudem die für diese Situation existierenden Richtlinien und Vorgehensweisen auf ihrer Webseite zum Coronavirus publik gemacht.

Wer entscheidet über Aufenthalt und Besuchsrecht?

Platzierungen von Kindern werden in «normalen Zeiten» nach Möglichkeit freiwillig bzw. vereinbart durchgeführt. Wer entscheidet jetzt, ob ein Kind nach Haus muss oder darf: Kanton? Eltern? Zuweisende Stelle? Oder sogar die Institution? Wie sieht es mit dem Besuchsrecht aus? Kindesschutzbehörden werden im Zweifel zu entscheiden haben, was aus Kindesschutzperspektive vertretbar ist. Findet keine Einigung statt, kann dies letztlich dazu führen, dass freiwillige Platzierungen bald in zivilrechtlichen Massnahmen überführt werden, um Kinder zu schützen. Fakt ist jedoch: Persönliche Anhörungen können nicht mehr oder nur vereinzelt durchgeführt werden. Rechtliches Gehör kann zumeist nur schriftlich oder elektronisch gewährt werden – wenn überhaupt. Damit werden vorsorgliche und superprovisorische Massnahmen zunächst wohl zunehmen. In der Folge steigt tendenziell die Rechtsunsicherheit.

Wie weiter?

Die Linked.in Gruppe bietet auch weiterhin die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig Rückhalt gegeben und Szenarien zu entwerfen, wie schwierige Entwicklungen abgefedert werden können. Integras und CURAVIVA Schweiz schalten dazu laufend Informationen auf.

Einen erweiterten Beitrag, in dem die Auswirkungen auf das Kindesschutzsystem ausführlicher beschrieben werden, können Sie unter www.qualitaet-kindesschutz.ch abrufen.

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