Kein Alltag im ALLTAG – wie auf 2'100 Meter eine Barge entsteht

11.07.2018 Roland Peretti, Jugendstation ALLTAG,
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Im Gespräch mit einem befreundeten Bündner Bergbauer kommt mir beim Wildheuen (1) eine ungewöhnliche Idee.

Überzeugungsarbeit auf allen Ebenen

«Chef», sage ich bei einem Kaffee zu Beginn des Schuljahres 2016/2017, «was hältst du davon, wenn ich im Werken eine Barge (2) baue und wir diese später auf 2100 Meter ü. M. aufrichten?» Mein Heimleiter hat ein Gesicht voller Fragezeichen, lässt sich jedoch nach und nach dafür begeistern. Ähnliches lese ich in den Gesichtern meiner Oberstufen-Jugendlichen.

Fünf Tage Forstarbeit

Im Februar 2017 fahren wir mit unserem Rapid-Spezial (3) in den Trimmiser Wald und erlernen das Fällen, Asten und Transportieren von sechs Meter langen Fichtenstämmen, die einen Durchmesser von ca. 15 cm haben müssen. Trotz winterlichen Temperaturen packen die meisten Jugendlichen mit vollem Einsatz an. Wir schafften es so, 25 dieser Bäume aufs Heimgelände zu transportieren. Die restlichen 25 Bäume liefert uns die Forstgruppe.

Fünf Tage Zimmermannsarbeit

Projektwoche im Mai 2017: Aufbau der Barge. Der erste Ring (4) besteht aus Lärchenholz. Das Fundament wird mit einer Schlauchwasserwaage (5) ausnivelliert. Damit alles im rechten Winkel bleibt, kommt Pythagoras zur praktischen Anwendung. Nun kann eine Gruppe mit dem Auftrölen (6) der weiteren Fichtenringe beginnen. Das Gewätt (7) wird auf der Oberseite eingesägt, damit die Stämme richtig aufeinanderliegen. Dies wird wiederholt, bis die Wandhöhe von zehn Stämmen erreicht ist. Jetzt fehlt nur noch der Aufbau bis zum First (8). Sind die Firstpfetten (9) ebenfalls richtig positioniert, können Rafen (10) positioniert und gesägt werden.

Das Holztor wird alter Väter Sitte mit Holznägeln zusammengemacht. Selbst die Scharniere bestehen nur aus Holz.

Fünf Tage Holztransport

Im Herbst 2017 geht es ans Abbauen und an den Transport auf 2100 Meter. Zuvor muss alles richtig angeschrieben werden. Jedes Gewätt wird mit einem anderen Buchstaben gekennzeichnet und jeder Ring mit seiner Nummer. Von Hand wird der Anhänger voll beladen. Wie geahnt kommen wir mit den landwirtschaftlichen Fahrzeugen am Ende nicht mehr weiter. Seile, Flaschenzüge, Hebel- und Muskelkraft werden nun eingesetzt, um die Holztramen (11) an ihren Bestimmungsort zu hochzubekommen.

Fünf Tage Dachdecker

Im Winter erklärt uns ein Schindelmacher sein Handwerk. So stellen wir nach und nach aus sechs Kubikmeter Fichtenholz 1500 Schindeln (12) her. Diese transportieren wir im Juni so weit als möglich den Berg hoch. Mit fachmännischer Hilfe werden sie auf die Dachlatten (13) gelegt.

Das Suchen und Transportieren der Dachsteine (14) auf dieser Höhe ist eine der letzten Herausforderungen und fordert ebenfalls den Teamgeist unter den Jungs. Zusammen mit den Schwarlatten (15) beschweren die gefundenen Steine das Dach.

Gefordert, behandelt und gelernt wurden u. a.

  • Sachbemässes Fällen, Entasten und Entrinden
  • Schindelproduktion
  • Zusammenarbeit mit Fachleuten
  • Verhalten in den Bergen bei Regen, wenn das Dach noch nicht gedeckt ist
  • Feststellen, dass wir zusammen Nachhaltiges bewirken können
  • Physik und Geometrie: Flaschenzug, Hebelgesetz, Schwerkraft, Pythagoras
  • Biologie: Fotosynthese, Kambium, Bast, Borke, Baumarten
  • Vorausdenken, organisieren und planen
  • Werkzeugkunde und -anwendung

An diesem Projekt der Jugendstation ALLTAG waren abwechslungsweise zehn verschiedene Jugendliche und sechs Erwachsene beteiligt.


Erklärungen

  1. Heu an hochgelegenen Steilwiesen, das mit Tieren oder Maschinen schlecht oder kaum zugänglich ist. Muss somit in strenger und gefährlicher Handarbeit gemäht werden.
  2. Barga, Bargün oder Bargia sind kleine Heuunterstände aus Rundholz oberhalb der Waldgrenze. Errichtet wurden sie wie vor hunderten von Jahren von Walsern, um darin Heu zu lagern und es im Spätherbst als Futter für das Vieh in die Täler zu transportieren. Heute sind diese Bargen oft verwittert und zerfallen.
  3. Landwirtschaftlicher Transporter (Einachser)
  4. eine Lage Rundholz
  5. Durchsichtiger Schlauch mit Wasser drin
  6. Errichten eines Gebäudes aus Rundholz
  7. Eckverbindung der Wände
  8. Höchster Punkt des Daches
  9. Höchstes Tragholz des Dachbaus
  10. Querholz auf den Pfetten (vom Gibel zum Trauf)
  11. Holzbalken
  12. Dachziegel aus Holz
  13. von Hand gespaltene Rundholzlatten mit ca. 8cm Durchmesser. Auf diese Latten werden die Holzschindeln montiert.
  14. Grosse und schwere Steine, die die Scharlatten beschweren
  15. Von Hand gespaltene Rundholzlatten mit ca. 15cm Durchmesser. Diese Latten (3 Stück pro Dachseite) werden auf die Schindeln gelegt.

 

Roland Peretti

Sozialpädagoge
Jugendstation ALLTAG

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