Wenn Corona Geschichte(n) schreibt

22.04.2020 Mirjam Schenk, Verein Mülibach,
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Vor nun bald vier Wochen erhielt ich die überraschende Anfrage, die Kinder der Sozialpädagogischen Lebensgemeinschaft Mülibach in Dussnang zu unterrichten. Als Studentin der Pädagogischen Hochschule, die nun mit Studium und Praktikum pausieren muss, sagte ich gerne zu. Die Institution liegt zudem in meinem näheren Umfeld, und meine Mutter hat während 5 Jahren dort im Team mitgearbeitet. Durch die Corona-Schutzmassnahmen wurden nicht nur wir, sondern auch die Kinder ab sofort von zu Hause aus unterrichtet. Für mich bedeutete dieser Entscheid mehr zeitliche Kapazität, und so kam ich zum Mülibach.

Während zwei Wochen unterrichtete ich fünf Kinder aus verschiedenen Schulstufen. Es war ein Umgewöhnen, sowohl für meine neuen Schülerinnen und Schüler wie auch für mich. Plötzlich mussten sie selbständiger arbeiten, mit Lehrern skypen, Aufgaben abfotografieren und einschicken… Doch schon bald waren wir ein eingespieltes Team, das die täglich anfallenden Schularbeiten bewältigte. Jeden Morgen arbeiteten wir während zwei Stunden, so dass der Nachmittag für andere Aktivitäten frei blieb. 

Doch nach zwei Wochen war die Schulzeit um, und die Ferien standen vor der Türe. Und was nun? Ferien ohne Besuche, ohne Ausflüge, zwei Wochen nur zu Hause? 

Um den Kindern trotz den erschwerten Umständen eine feste Tagesstruktur zu bieten, entschlossen wir uns für ein Ferienprojekt. Weil die Kinder so motiviert intern am «Schulunterricht» teilnahmen, entstand das Schreibatelier Mülibach. Während der Ferienzeit trafen wir uns weiterhin zur gewohnten Zeit. Diesmal nicht, um Matheaufgaben zu lösen und Englisch-Vokabeln zu pauken, sondern um ein Buch zu schreiben. Ein richtiges Buch mit Geschichten aus dem Mülibach, Geschichten, die die Kinder selber erlebt haben. 

Als wir am ersten Tag Ideen sammelten, war der vorbereitete Flipchart schon nach kurzer Zeit voll mit Titeln. Voller Enthusiasmus starteten wir mit dem Schreiben der Geschichten. Jede Erzählung wurde mit einer Zeichnung ergänzt. Als die zwei Stunden sich dem Ende zu neigten, protestierten die vertieften Autorinnen und Autoren. Gemeinsam entschieden sie: Wir schreiben ein Buch mit 100 Seiten. Zu diesem Zeitpunkt lächelte ich über dieses ambitionierte Ziel. Nach einer Woche fleissiger Arbeit hielt ich 50 Blätter mit Geschichten in den Händen. Ich habe mit vielem gerechnet, aber nicht damit. 

Zur Abwechslung starteten wir in der zweiten Woche damit, einige der Geschichten als Hörspiel aufzunehmen. Mit Erzählerstimme sprachen sie ihre Erlebnisse auf Tonband. Ergänzt durch Toneffekte und Musik, erhielten sie einen besonderen Charakter.

Nun neigen sich auch die Ferien dem Ende zu. Entstanden ist ein farbiges Buch voller Anekdoten aus dem Alltag der Kinder. Stolz strahlt aus den Augen der jungen Autorinnen und Autoren. Sie haben viel erreicht, und auch wenn es nicht ganz 100 Seiten sind, so ist es doch ein stattliches Buch samt CD geworden.

Nächste Woche werden wir wieder zum Schulalltag übergehen. Auch wenn wir eine gute Zeit zusammen haben, freuen sich doch alle darauf, endlich wieder in die Schule zurückkehren können. Wenn es auch nur ist, um die Freunde wiederzusehen.

Mirjam Schenk

«Hauslehrerin», befristete Anstellung aufgrund von Corona,
Studentin der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen
Verein Mülibach - Soziale Alternativen

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