Sozialraumorientierung in der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Zürich

27.02.2019 Thomas Bachofen,
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Die Stadt Zürich hat fünf regionale Sozialzentren installiert. Welche Rolle spielen diese im Bereich Kindesschutz und welche Idee steckt hinter der Regionalisierung?

Die fünf Sozialzentren der Stadt Zürich sichern die soziale Grundversorgung für die Bevölkerung in ihrer Region. Dazu gehören insbesondere die Leistungen in den Bereichen der Sozialhilfe, im Erwachsenenschutz, in der Kinder- und Jugendhilfe sowie auch soziokulturelle Angebote. Als polyvalenter Sozialdienst erbringen wir unsere Leistungen mit den Sozialzentren unter einem Dach und nach dem Prinzip der Fallführung aus einer Hand. Das hat für unsere Klienten und Klientinnen insbesondere den Nutzen, dass sie sich mit ihrem Hilfebedarf nicht bei verschiedenen Stellen melden müssen. Aus Kindesschutzsicht hat dies den Vorteil, gerade für mehrfach belastete Familien, aufeinander abgestimmte Hilfeleistungen zu ermöglichen und das Kindeswohl aus mehreren Perspektiven zu beurteilen.

Sie arbeiten sozialräumlich. Was heisst das konkret für die Fallarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe und das Personal?

Die sozialräumliche Ausrichtung spielt in der Kinder- und Jugendhilfe eine wichtige Rolle. Deshalb sind unsere Dienste von den Quartierteams in den Sozialzentren, über die Schulsozialarbeit bis zur Mütter- und Väterberatung auch sozialräumlich ausgerichtet. Es ist gerade in der Kinderschutzarbeit wichtig, die Lebensverhältnisse von Familien in den Quartieren zu kennen. Das Wohlergehen von Kindern hängt nicht nur von den Erziehungskompetenzen der Eltern, sondern ebenso von ihrem Wohnumfeld ab (Wohnsituation, Spielmöglichkeiten, Nachbarschaftskontakte, Hort- und Krippenangebote, Schulweggestaltung etc.). Die sozialräumliche Optik trifft sich dabei mit unserer systemisch-lösungsorientierten Vorgehensweise in der Fallarbeit.

Nebenbei: Dass viele Informationen heute digital vorhanden und zugänglich sind, hilft dabei ungemein. Früher musste die Sozialarbeiterin bzw. der Sozialarbeiter ja quasi den Sozialraum selber erkunden und die Informationen in Papierdokumenten festhalten, wobei die Klienten und Klientinnen oft keinen direkten Zugang auf diese Informationen hatten. Aus heutiger Sicht unvorstellbar!

Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Kinder- und Jugendheimen aus? Hat sich diese in den letzten Jahren verändert?

Ja sehr, zum Glück! In den Nullerjahren mussten wir gegenüber den Einrichtungen noch die Forderung «Kein Austritt ohne Anschluss» stellen. Oftmals wurde ein Kind völlig unabhängig von sozialräumlichen Prinzipien platziert. Manchmal war man einfach froh, einen Heimplatz der richtigen «Kategorie» zu finden, wo das Kind «versorgt» war, um es überspitzt zu sagen. Qualitativ fragwürdige (Um-)Platzierungen sowie die damals neuen Prinzipien der Sozialraumorientierung bewirkten einen Umdenkprozess zwischen Anbietern und Versorgern.

Heute suchen wir zusammen mit den Anbietern nach Lösungen, welche dem betreffenden Kind am besten gerecht werden. So passte auch der grösste Anbieter an ausserfamiliären Betreuungsformen auf dem Platz Zürich aufgrund unserer intensivierten Zusammenarbeit seine Angebotspalette den neuen Anforderungen an. Wir von der Stadt Zürich pflegen seit einigen Jahren eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit den Heimverbänden im Kanton Zürich, haben mit den Heimträgerschaften Rahmenverträge abgeschlossen und treffen uns mindestens einmal jährlich zur Reflexion unserer Zusammenarbeit.

Was waren im Rückblick für Sie als Leitung die grösste Herausforderung in der Organisationsentwicklung?

Da gab es einige. Zum Beispiel Mitarbeitende bei den fachlichen wie organisatorischen Veränderungen einzubinden. Aber auch sich auf neue Denkprozesse einzulassen, den Fokus nicht nur auf die Organisation, sondern immer wieder auf das Wohl des Kindes, seiner Familie, unserer Klientel ganz generell zu richten. Nicht unerheblich dabei war und ist, das Vertrauen der Politik in unsere Arbeit zu gewinnen und zu erhalten, so dass Investitionen (sprich unter anderem Ressourcen) in das Soziale immer auch dem ganzen Gemeinwesen zugutekommen. Was mich immer wieder fasziniert hat: Wenn die Idee für eine Innovation besticht, dann entwickelt sich auch in der Organisation und bei den Mitarbeitenden die Kraft, um in diese Richtung zu gehen.

Stichwort «neues Kinder- und Jugendheimgesetz» im Kanton Zürich: Was bedeutet dies für die Sozialzentren und die Anbieter von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe?

Das neue Gesetz stellt eine grosse Chance dar. Die neuen Rechtsgrundlagen sollen es ermöglichen, dass einzig und allein der Hilfebedarf von Kindern, Jugendlichen und Familien im Zentrum steht und es möglich ist, diese ganz gezielt und individuell zu unterstützen. Passgenaue und kombinierte Hilfen werden damit ermöglicht. Mittels eines «Gesamtkostenmodells» wird künftig der gesamte Aufwand an ergänzenden, erzieherischen Hilfen wie Heimplatzierungen oder sozialpädagogischer Familienarbeit solidarisch unter den Gemeinden im Kanton aufgeteilt. Die einzelne Familie als «Kostenverursacher» steht nicht mehr am öffentlichen Pranger. Alle Eltern leisten nur noch einen Verpflegungsbeitrag an die Heimkosten ihres Kindes. Dem Kanton kommt nebst der Finanzierung die Versorgungsplanung und die Steuerung des Angebots zu. Dies geschieht unter Miteinbezug der verschiedenen Akteure. Ich verspreche mir dabei zudem, dass innovative Angebote eine bessere Förderung erhalten (zum Beispiel Care Leaver-Modelle).

Auch wenn das neue Gesetz bedeutet, dass wir von der Stadt für die Finanzierung solcher Hilfen künftig auf Kostengutsprachen des Kantons angewiesen sein werden, nehmen die Zielsetzungen des neuen Gesetzes doch vieles auf, was wir in unserer Stadtzürcher Praxis leben und umsetzen.

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