Im Spielzimmer mit Kathrin Häusermann, Logopädin, und Labrador Edi

28.03.2018 Cornelia Rumo Wettstein,
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Kathrin Häusermann - Audio (mp3, 11.4 MB)

Ich bin der Typ für die speziellen Kinder. Ich habe es gern, wenn man zusammen über die Kanten lachen kann, die man hat. Die Arbeit in einem Wohn- und Schulheim entspricht mir sehr. Ich helfe schon, ein «s» anzubahnen, aber es gibt Wichtigeres, ausser natürlich, das Kind wird deswegen gehänselt oder stört sich selbst daran. «S»-Wörter wie «sitz», «fass» und «such» dann mit Edi zu üben, das fägt. Verste­hen und verstanden werden sind zwei meiner Haupt­ziele. Wie ist ein schöner Dialog? Was muss ich be­rücksichtigen? Was kann ich bewirken? Logopädie umfasst die ganze Kommunikation, ein riesiges Feld. Und Kommunikation kann man nicht trennen von der Gefühlswelt. Ich will, dass die Kinder ein biss­chen glücklicher sind, wenn sie hier gewesen sind. Manchmal mache ich auch ein bisschen Seich mit ihnen, das haben sie gerne.

«Ich helfe schon, ein «s» anzubahnen, aber es gibt Wichtigeres.»

Kathrin Häusermann (51)
Logopädin, Weissenheim

Keine «Blätter-Logo»

Dass ich zu meinem Beruf gekommen bin, ist ein wenig magisch. Ich habe Gärtnerin gelernt und wollte noch Floristin werden oder Botanik studie­ren. Als ich über einen Schulhausplatz lief, fragte ich mich, Logopädie, was ist das. Ich fragte bei der Berufsberatung nach und habe gedacht, das mache ich. Ein Kind hat mir mal gesagt, ich sei keine «Blät­ter-Logo». Ich kopiere selten etwas, ich bin ein intuitiver Mensch. Die Kinder bringen ihre eigenen Themen mit, und darin verpacke ich meine logopädischen Ziele. Am liebs­ten arbeite ich mit Spielen. Ich bin selbst eine Spielerin, ich glaube, das muss man sein in diesem Beruf. Mit einem Schwarzen Peter kann man Einzahl und Mehrzahl üben, die Ver­benstellung im Satz, Sätze bilden. Die Kinder geben sich selbst einen Auf­trag und mir auch gleich. Ich mache einen Satz mit «sch», und du sagst ei­nen Satz ... Manchmal passt mir der Auftrag nicht, und dann sage ich es.

Raum einnehmen

Niemand will im Heim sein. Ich höre jetzt noch das Mädchen sagen, jetzt war ich schon in acht Heimen. Ein Heim kann aber auch ein Daheim sein. Ich sage den Kindern, dass sie verschiedene Zuhause haben, es muss nicht nur eines sein. In die Logo gehen alle gerne, und wenn ich noch Edi habe, dann wollen sie sowieso kommen. Sie mögen es, wenn sie jemanden für sich haben. Sie haben da ein Manko. Du bist mei­ne, und der Edi hat mich am liebsten von allen, das höre ich ganz viel. Ich lese die Abklärungsberichte nie, bevor ich die Kinder gesehen habe. Aber dann will ich es schon wissen. Ich habe es gerne, wenn wir im Team gut zusammenarbeiten. Ich will, dass das, was wir hier tun, Raum einnimmt. Sonst nützt es ja nichts. Ich bin nur ein Teil des Ganzen, von aussen gesehen ein kleines Teilchen, obwohl ich manchmal spüre, dass das nicht stimmt.

Immer wach sein

Meine Arbeit ist anspruchsvoll und fordert viel Ener­gie und Geduld. Im fliegenden Übergang kommen die unterschiedlichsten Kinder und Jugendlichen mit den unterschiedlichsten Themen. Die Arbeit ist streng, weil ich viel Nähe zulasse und mir Vertrauen so wichtig ist. Ich bin ein direkter, offener Mensch, und ich kann sagen, nein, so helfe ich nicht oder eine Situation mit Humor drehen. Man muss immer wach sein. Ich kann nicht die Hälfte geben. Ich gebe alles oder nichts. Ich nehme alle Kinder, manchmal mi­sche ich auch, nehme ein grösseres zu einem kleine­ren. Es fägt, wenn sie einander unterstützen können, voneinander lernen. Zusammen geht es besser. Die Kinder dürfen bei mir erzählen. Ich verspreche ih­nen, dass es hierbleibt. Und wenn es nicht hier­bleibt, dann besprechen wir das.

Weissenheim, Bern

Ins Weissenheim aufgenommen werden Kinder und Jugendliche, die Sonderschulförderung benötigen und auf sozialpädagogische Begleitung im Alltag angewiesen sind. Sie sollen sich in ihrer Persönlichkeit entfalten und ein möglichst selbstständiges Leben führen können. In den vier Wohngruppen leben bis zu neun Kinder und Jugendliche nach Alter und Geschlecht durchmischt zusammen.

Keine Hose mehr

Wenn man sich einlässt, dann kann man sich auch nicht ganz abgrenzen. Ich muss mich so weit öffnen, dass ich ihnen etwas mitgeben kann. Ich habe ja selbst in meinem Leben erwachsene Menschen ge­habt, die mir mit kleinen Dingen viel gegeben ha­ben. Wenn ich mit einem Mädchen das «sch» geübt habe für das Weihnachtsspiel und sie dann meinen Blick im Publikum sucht, wenn sie «schön» sagt, dann merke ich, dass etwas fruchtet. Es gibt Jugend­liche, die rufen mich heute noch an. Sie erzählen mir, dass sie eine Freundin haben, schicken ein Bild. Dem einen – wir haben uns schriftlich unterhalten, ein ganzes Heft ist entstanden – habe ich gesagt, er sei eine Hose, weil er zwei Frauen habe, das gehe gar nicht. Er schickte mir ein Bild und schrieb dazu, dass er nun keine Hose mehr sei, er habe nur noch eine Frau.

Ziemliche Cracks

Die Kinder erzählen mir viel von den neuen Medien. Ein Bub ist so Fan von seinem ganzen Minecraft-Zeug, das nutzen wir und schreiben jetzt eine Minecraft-Geschichte. Sie müssen mir das so lange erklären, bis ich drauskomme. Da geben sie alles, denn das ist ihr Thema. Ich muss spüren, wo die Kinder stehen und was ihre Themen sind. Da kann man etwas ler­nen, sonst nicht. Ich wünsche mir, dass man mit al­len gut zusammenarbeitet. Dass man was vonein­ander weiss. Das schnallen die Kinder schnell. Sie sind ziemliche Cracks. Sie haben aus dem, was sie bekommen haben oder eben nicht, etwas gemacht. Es ist besser, wenn sie früh genug kommen. So mer­ken sie, dass Andersartigkeit normal ist.

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