Archivierung als Gesundheitsvorsorge – Teil 2

13.05.2020 Rahel Jakovina,
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Kinder und Jugendliche, die eine Zeit in einer Institution verbringen, sind mit einer Lebensphase konfrontiert, in der vieles für sie nur schwer einzuordnen ist. Wie der Beitrag von letzter Woche an dieser Stelle zeigt, ist dieses Einordnen aber essentiell für ihre Gesundheit als Erwachsene. Indem Unterlagen von Kindern und Jugendlichen aufbewahrt werden, können Institutionen einen wichtigen Beitrag leisten.

Was das Gesetz sagt

Das Recht an unseren persönlichen Informationen ist ein Grundrecht und beinhaltet auch das Recht auf Vergessen. Niemand darf ohne guten Grund Informationen über uns sammeln und aufbewahren. Das Datenschutzgesetz konkretisiert, dass Informationen nur für den Zweck verwendet werden dürfen, für den sie ursprünglich gesammelt wurden oder der aus den Umständen oder dem Gesetz ersichtlich ist. Fällt dieser Zweck weg, müssen die Informationen vernichtet werden – ausser, wenn wichtige persönliche oder öffentliche Interessen dagegensprechen.

Institutionen legen Unterlagen zu den Kindern und Jugendlichen an, um ihren Auftrag zu erfüllen. Mit dem Austritt aus der Institution sehen sich die Verantwortlichen im Dilemma: Sollen sie die Unterlagen vernichten, weil der Auftrag erledigt wurde, oder sollen sie sie aufbewahren für den Fall, dass die ehemaligen Kinder oder Jugendlichen eines Tages als Suchende an die Tür klopfen?

Es gibt keinen Gesetzesartikel, der die Institutionen explizit zur Aufbewahrung über eine konkrete Anzahl Jahre verpflichtet. Allerdings beträgt die Verjährungsfrist für Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung wegen schädigendem Verhalten des Personals 20 Jahre. Aus rechtlicher Sicht ist es sowohl im Interesse der betreuten Person als auch in demjenigen der Institution, Unterlagen für mindestens diese Zeitspanne aufzubewahren. Sinn macht aber eine noch längere Aufbewahrung im Interesse der betreuten Person. Rechtlich spricht nichts dagegen – so lange die Institution eine sichere Aufbewahrung gewährleistet.

Was am Ende gilt

Institutionen für Kinder und Jugendliche haben ein Ziel vor Augen: Die betreuten Personen auf ihrem Weg in ein physisch und psychisch gesundes, selbstverantwortliches Leben zu unterstützen. Mit der Aufbewahrung von Unterlagen können sie einen weiteren Beitrag dazu leisten. Die Aufbewahrung für die Dauer eines Menschenlebens sollte deshalb zu einer Selbstverständlichkeit werden. Genauso selbstverständlich muss aber sein, dass austretende Personen darüber informiert werden und dass die Institution mit physischen und technischen Massnahmen sicherstellt, dass nur die für die Aufbewahrung verantwortliche Person und die betreute Person Zugriff auf die Unterlagen haben. Für andere Interessierte, z.B. Forschende, dürfen Unterlagen nur stichprobenartig und anonymisiert zur Verfügung stehen. Denn nicht jeder Suchende darf finden, nur derjenige, der sich mit seiner eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzen möchte.

Nach 20 Jahren hat die Institution kein rechtlich vertretbares Interesse mehr an der Aufbewahrung der Unterlagen. Diese Aufbewahrung geschieht gänzlich im Interesse der betroffenen Person. Ihre Wünsche gilt es deshalb zu respektieren – bei der Sichtung von Unterlagen aber auch dann, wenn sie mit dem Begehren an die Tür klopft, von ihrem Recht auf Vergessen Gebrauch zu machen. In diesem Fall müssen alle Unterlagen sorgfältig und vollständig vernichtet bzw. gelöscht werden.

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