Änderung des Zivilgesetzbuchs betr. gewaltfreie Erziehung (Geschäft 24.077): «Eine ordentliche Ohrfeige schadet nicht», hörte man immer wieder – und gehört aber jetzt gesetzlich verboten
Der Nationalrat will das Prinzip der gewaltfreien Erziehung von Kindern ausdrücklich im Schweizer Zivilgesetzbuch verankern. Dazu hat er eine entsprechende Bundesratsvorlage mit 134 zu 56 Stimmen bei zwei Enthaltungen gutgeheissen.
Das Prinzip soll gemäss Bundesrat Leitbildcharakter haben, ohne dass daraus ein Anspruch entsteht, deren Einhaltung im Einzelfall vor Gericht geltend gemacht werden könnte. Damit wird klar signalisiert, dass erniedrigende Behandlungen von Kindern unzulässig sind. Auch künftig ist es sinnvoll, gegenüber Kindern Grenzen zu ziehen, doch eben nicht mit Gewalt oder Erniedrigung. Es gilt die Maxime: Die Erziehung von Kindern ist Privatsache – nicht aber die gegen sie begangenen Gewalttaten.
Gemäss Bundesratsvorlage haben die Kantone dafür zu sorgen, dass sich die Eltern und das Kind bei Schwierigkeiten in der Erziehung gemeinsam oder einzeln an Beratungsstellen wenden könnten. Das Geschäft geht jetzt in den Ständerat. ARTISET und YOUVITA unterstützen das Begehren ausdrücklich.
Motion Fehr Düsel «Verschärfung des Jugendstrafrechts» (24.3115): Sed lex, dura lex
Künftig sollen bei schweren Verbrechen unbedingte Strafen gegen Jugendliche ausgesprochen werden können. Und wenn Minderjährige bei Massnahmen nicht kooperieren, droht ihnen Gefängnis. ARTISET und YOUVITA stellen sich gegen diese Forderung: Es ist zu bezweifeln, dass Gefängnisstrafen gegen Minderjährige einen klugen Weg darstellen, um Rückfälle zu verhindern.
Der Nationalrat teilte diese Meinung – knapp – nicht und nahm eine entsprechende Motion von Nina Fehr Düsel (SVP/ZH) mit Stichentscheid der Ratspräsidentin an. Die Motion fordert zudem, dass für Jugendliche bei besonders schweren Straftaten das Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt. Eine weitere Verschärfung betrifft den maximalen Freiheitsentzug: ab 16 Jahren soll die Dauer von vier auf sechs Jahre und bei 15-Jährigen von einem auf zwei Jahre erhöht werden.
Bundesrat Jans betonte vergeblich, dass im Jugendstrafrecht die Absicht verfolgt werde, Jugendliche von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten – mit ein Grund für einen differenzierten Strafvollzug. Die Leitprinzipien seien Erziehung und der Schutz der Jugendlichen. Es gehe darum, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Bereits heute könne gegen Jugendliche eine Freiheitsstrafe ausgesprochen werden.
Noch ist allerdings Fehr Düsels Auftrag nicht umzusetzen: Der Vorstoss geht nun in den Ständerat.
Parlamentarische Initiative der WBK-N «Überführung der Anstossfinanzierung in eine zeitgemässe Lösung» (Geschäft 21.403): Es scheint, dass ein für lange Zeit umstrittenes Geschäft nun eine positive Wendung erfährt
Im Parlament herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die finanzielle Förderung der Kinderbetreuung auf eine neue gesetzliche Basis gestellt werden soll. Dadurch soll eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familienleben ermöglicht und auch die Entwicklung der Kinder gefördert sowie die Betreuung von Kindern mit Behinderungen erleichtert werden. Aus Sicht des Nationalrats greift das neue gesetzliche Dispositiv zudem nur, wenn ein qualitativ gutes und attraktives Betreuungsangebot besteht. Das Parlament verspricht sich einen volkswirtschaftlichen Nutzen aus dem neuen Gesetz durch gesteigerte Produktivität, Steuereinnahmen und Bruttoinlandprodukt.
Nach dem Ständerat in der Wintersession 2024 hat jetzt auch der Nationalrat einem neuen Finanzierungsmodell zugestimmt. So soll eine Betreuungszulage für Familien für Kinder bis acht Jahren zum Zug kommen. Finanziert werden soll die Zulage über Beiträge der Arbeitgebenden, der Arbeitnehmenden und der Kantone. Allerdings sollen die Kantone analog den Familienzulagen entscheiden können, wie die Finanzierung im Detail erfolgen soll.
Die neue Betreuungszulage soll monatlich mindestens hundert Franken betragen, wenn das Kind an einem Tag pro Woche in einer Institution betreut wird. Pro zusätzlichen halben Betreuungstag erhöht sich die Zulage um fünfzig Franken. Weiter will der Nationalrat, dass die Zulage für Kinder mit Behinderungen bis zum dreifachen Betrag ausgerichtet werden kann. Die ursprünglich vorgesehene Finanzierung der Zulage über Beiträge des Bundes kommt also nicht mehr infrage. Das freut die Finanzministerin Frau Keller-Suter, weckt aber Widerstand bei Teilen der Arbeitgeberschaft.
Anders als der Ständerat beharrt der Nationalrat darauf, Programmvereinbarungen zwischen Bund und Kantonen in den Gesetzesentwurf aufzunehmen. Solche Vereinbarungen sollen für die Kantone Anreize schaffen, in die frühe Förderung der Kinder zu investieren, Angebotslücken zu schliessen und auch Betreuungsplätze für Kinder mit Behinderungen zu schaffen. Laut Nationalrat soll der Bund bis 200 Millionen Franken für die ersten vier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zugunsten der Programmvereinbarungen ausgeben.
Weiter beschloss der Nationalrat zusätzliche Finanzierungsbereiche. So sollen auch Massnahmen zur Verbesserung der pädagogischen und betrieblichen Qualität der Angebote sowie zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert werden. Es sind wieder Punkte, die der Ständerat kippen wollte, woran der Nationalrat jetzt aber festhält.
In die Vorlage nicht aufgenommen wurde ein Antrag zur Verknüpfung der Unterstützung an die Erwerbsbeteiligung beider Elternteile. Dessen Umsetzung würde auf schwer überwindbare praktische Hindernisse stossen. Im Übrigen bleibt im Moment unklar, ob und wie bereits vorhandene Engagements der Arbeitgebenden sowie kantonale Regelungen der externen Kinderbetreuung bei der Berechnung der neuen Betreuungszulage berücksichtigt werden sollen.
ARTISET und YOUVITA haben sich für den Durchbruch der Vorlage engagiert, insbesondere dafür, dass Qualitätsstandards vorgesehen werden. Entsprechend beobachten sie mit vorsichtigem Optimismus die neuesten Entwicklungen im Rahmen der Behandlung der Vorlage. Das Geschäft geht nun zur Differenzbereinigung zurück in den Ständerat.